Podcast „Pflegefamilien Deutschland“

Bertram Kasper, Dirk Griesche, Jens Haberland, Kerstin Schön, Julia Wagner und Team

Wie die Positive Psychologie für Pflegefamilien hilfreich sein kann

11.11.2022 41 min Bertram Kasper und Team

Zusammenfassung & Show Notes

Interview mit: Priv.-Doz. Dr. Silvia Exenberger
Homepage: https://www.institut-positivepsychologie.at/


Thema: Heute spreche ich mit Dr. Silvia Exenberger aus Österreich über die positive Psychologie und wie sie im Zusammenleben mit Kindern und Pflegekindern unterstützend wirken kann.
Herzlich willkommen Frau Exenberger.
Sie sind klinische und Gesundheitspsychologin, Gründerin des Instituts für positive Psychologie und Resilienzforschung, Lehrbeauftragte an der Universität Innsbruck beim Institut für Psychologie und weiteren Universitäten in Österreich. Sie arbeiten und forschen zu den Themen der Positiven Psychologie und zu Trauma bei Kindern und Jugendlichen.
Titel des Podcasts:
Wie die Positive Psychologie für Pflegefamilien hilfreich sein kann
Mein Name ist Bertram Kasper und ich arbeite beim St. Elisabeth-Verein in Marburg im Fachbereich Pflegefamilien Hessen. Mit einigen Kolleg*innen produzieren wir seit April 2020 den Podcast Pflegefamilien Deutschland. Es sind inzwischen schon 57 Episoden auf allen einschlägigen Podcastplattformen zu hören. Wir veröffentlichen jeden 3. Freitag um 8:00 Uhr morgens eine neue Folge.
Ich selbst arbeite schon seit über 33 Jahren in der Kinder- und Jugendhilfe und davon fast die Hälfte der Zeit im Pflegekinderbereich. In unserem Fachbereich Pflegefamilien betreuen wir über 140 Familien mit fast 200 Kindern.
• Vielleicht steigen wir einmal beim Thema Positive Psychologie ein. Was ist positive Psychologie überhaupt?
Frau Dr. Exenberger deutet hier zunächst auf das große Thema Prävention, dem die Positive Psychologie zugetan ist. Diese beiden Themen wurden auch detailliert von Martin Seligman behandelt und setzen darauf, mit menschlichen Stärken psychische Krankheiten abzuschwächen oder gar zu verhindern: Mut, Optimismus, zwischenmenschliche Kompetenzen, Hoffnung, Durchhaltevermögen.
In der historischen Psychologie vor dem zweiten Weltkrieg begriff sich das Feld als dreigeteilt: erstens war das Heilen mentaler Krankheiten ein Fokus, zweitens die Unterstützung zur Findung eines produktiven und erfüllenden Lebens und drittens die Förderung und Pflege von Talenten. Nach dem zweiten Weltkrieg jedoch wurde die Psychologie einspuriger und begriff sich nurmehr als heilende Disziplin – was fördernd für das Verständnis psychischer Erkrankungen und deren Heilung war, sie jedoch auch mehr als untergeordnetes Feld der Gesundheitsprofessionen einordnete und die anderen beiden fundamentalen Aufgaben der Disziplin ins Vergessen brachte. Auch führte diese neue Betrachtungsweise mehr dazu, den Menschen als passives Element zu betrachten.
• Und welche Haltung gegenüber Menschen und sich selbst ist mit dem Ansatz verbunden?
Frau Dr. Exenberger nennt hier als erstes die positive Haltung gegenüber Menschen, in denen der Fokus auf dem Guten, Positiven liegen sollte. Dies sind auch Grundwerte der Humanistischen Psychologie – Carl Rogers, der Brgründer der Gesprächspsychotherapie spricht hier von Selbstaktualisierungstendenz. Diese stellt das grundlegende Motiv menschlichen Handelns dar: ein ständiges Streben die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu erhalten, entfalten und verwirklichen, sowie Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erlangen. Dieses Vorgehen kann jede:r beim Gegenüber und auch sich selbst fördern. Relevant ist hier auch die durch William James, den Begründer der Psychologie in den USA, definierte Healthy-Mindedness. Er beschreibt sie als die Tendenz alle betrachteten Dinge als gut wahrzunehmen. Seiner Meinung nach gibt es zwei verschiedene Arten gesunden Denkens: die unwillkürliche, bei welcher man dazu neigt, sich sofort über die Dinge zu freuen und die systematische, freiwillige Art Dinge abstrakt als gut zu begreifen. Manche Menschen seien entschlossen, das Gute als das Wesentliche der Dinge zu betrachten und das Böse aus ihrem Blickfeld auszuschließen.
Laut Fredricksons (2004) Konzept ‚Broaden and build‘ führen positive Emotionen zum optimalen Funktionieren – nicht nur im gegenwärtigen, das Gefühl auslösenden Moment, sondern auch auf lange Sicht. Daher sollten Menschen positive Emotionen sowohl bei sich selbst als auch ihrem Umfeld kultivieren und zwar nicht nur als Endzustand sondern auch als Mittel zum Erreichen von psychologischem Wachstum und verbessertem psychischen und physischen Wohlbefinden. Broaden and build stellt sozusagen einen Paradigmenwechsel von negativen zu positiven Emotionen dar. Negative Emotionen, die den Blickwinkel auf mögliche Handlungsalternativen einschänken (Angst, Flucht) stehen positiven Emotionen gegenüber, welche unseren Horizont und unser Bewusstsein erweitern und größeren Handlungsspielraum ermöglichen (z.B. Freude: Impuls zu spielen und kreativ zu sein; Interesse: Impuls zu erforschen und lernen). Eine so umgestellte Denkweise bringt indirekte und langfristige Anpassungsvorteile mit sich, denn es werden dauerhafte persönliche Ressourcen aufgebaut. Dies ist vergleichbar mit dem Spielen in der Kindheit, welches als dauerhafte Ressource gesteigerte Kreativität mit sich bringt und die Entwicklung des Gehirns fördert. Die Form positiver Emotionen wird in der Broaden and Build Theorie im Sinne eines erweiterten Denk- und Handlungsrepertoires beschrieben, welches, durch den Ausbau dauerhafter persönlicher Ressourcen eine neue Perspektive auf die entwickelte adaptive Bedeutung positiver Emotionen bietet. Hierbei geht es nicht um das krampfhafte – und dadurch unmögliche Herstellen einer positiven Stimmung, sondern vielmehr um die Steigerung der Quantität positiver Empfindungen. Wichtig ist der positive Quotient, ein messbarer Unterschied zwischen negativen und positiven Gefühlen.
• Wie sind Sie zur Positiven Psychologie gekommen und was begeistert Sie an diesem Ansatz?
Frau Dr. Exenbergers Forschungsschwerpunkte innerhalb der Positiven Psychologie liegen bei Posttraumatischem Wachstum, Wohlbefinden und Resilienz bei Kindern und Jugendlichen und auch der Kehrseite, dem Trauma; durch die Positive Psychologie wird eine Person ganzheitlich betrachtet. Frau Dr. Exenberger ist vor allem deswegen von diesem Ansatz begeistert, da die Denkweise eines jeden durch einfache, in den Alltag integrierbare Übungen, so zum Positiven bewegt und verändert werden kann. Ist man in Frust oder Problemen verstrickt, so hilft es die Gedanken auf die positiven Ereignisse zu lenken. Die Wirkungsweise der Übungen und des gesamten Feldes der Positiven Psychologie ist empirisch belegt.
• Wieso ist die Positive Psychologie für Eltern und Pflegeeltern so wertvoll und wie könnten Sie die Wirkung der Positiven Psychologie beschreiben?
Frau Dr. Exenberger kann sich vorstellen, dass Pflegeeltern mit Freude und positiven Erwartungen an ihre Aufgabe heran gehen, doch der Alltag vielmals sehr fordernd und manchmal überfordernd ist. Es gibt vielleicht Augenblicke in denen man denkt, dass man so viel gibt und wenig bekommt ... und an dieser Stelle – sowieso jederzeit - können einfache Übungen und Änderungen an der eigenen Einstellung helfen; die Denkweise in eine andere Richtung zu lenken.
Empirische Studien – Martin Seligman: PERMA (Wohlbefinden)

• P ositive Emotions (positive Emotionen vermehren und nutzen)
• E ngagement (Flow erleben, eigene Stärken leben)
• R elationships (positive Beziehungen pflegen)
• M eaning (Sinn – im Alltag – transparent machen und leben)
• A ccomplishment (Erfolgserlebnisse ermöglichen und sichtbar machen)

• Und wahrscheinlich interessiert Eltern und Pflegeeltern brennend, wie sich die Positive Psychologie ganz praktisch in den Alltags des Familienlebens übertragen lässt.
• Und welche konkreten Methoden halten Sie für das Leben mit Kindern für besonders geeignet?
• Und vielleicht können Sie davon 3 oder 4 konkreter vorstellen, so dass diese Methoden für Familien und Pflegefamilien durchführbar sind.

Drei Beispielübungen:
Das war gut heute (Kinder): jeden Abend mit dem Kind 3 Dinge finden, die gut am Tag waren;
als ELTERNTEIL: Jeden Tag 3 gute Dinge, die an diesem Tag geschehen sind, aufschreiben. Nach Festhalten der 3 guten Dinge, wird eine der folgenden Fragen beantwortet:
• Was habe ich selbst dazu beigetragen, dass dies passiert ist?
• Was bedeutet das für mich?
• Wie kann ich in Zukunft mehr von der guten Sache haben?

Genuss-Tage planen - mit allen Sinnen den Tag genießen: 
Frühstück, Weg von der Schule nach Hause, Dusche ...
Regeln für das Genießen
+ Genießen braucht Zeit
+ Genießen geht nicht nebenbei
+ Genieße bewusst alltägliche Dinge
+ Genuss ist Geschmackssache; nicht alle genießen die gleichen Sachen – z.B. laute Musik

Genussspaziergang
Meist im Modus: Autopilot - schöne Dinge oft nicht mitbekommen - man steht auf, geht durch Tag, ganz im Trott, am Abend fragt man sich: Was war heute eigentlich? Gegenteil - bewusst einen Gang rausnehmen, Augen auf, Ohren auf, was gibt es, das ich wahrnehmen kann?
+ Aufmerksamkeit auf Wohltuendes fokussieren
+ Lernen, den Blick auf das Schöne zu richten

• Und was wünschen Sie all den Pflegefamilien und den Pflegekindern im deutschsprachigen Raum aus Ihrer Perspektive?


Eine Bitte an unsere Hörerinnen und Hörer:

Wir freuen uns auf Spenden für Pflegekinder an unseren Förderverein. Hier der direkte Link zu Ihrem Beitrag:

https://www.foerderverein-pflegekinder-deutschland.de/ihre-spende/

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